Ausschlafen auf sinhalesisch

Der Mensch braucht Herausforderungen, wie öffentliche Lesungen und hohe Berge. In Sri Lanka gibt es beides. Wir haben uns vorgenommen, vor der Lesung noch die Wale zu retten, die letzten Tamil Tigers durch meditative Strickkurse zu läutern, den Weltfrieden zu erringen und den heiligsten Berg zu ersteigen. Schade eigentlich, dass wir nur zehn Tage Zeit haben. Schließlich belassen wir es – aus reiner Bescheidenheit – bei dem Berg. Es ist alte Pilgertradition, früh auf zu stehen, um vor Sonnenaufgang hinauf zu klettern. Früh heißt um zwei Uhr nachts. „Aber das macht nichts“, sage ich,“am Ende der Reise bekommen wir ein fünf-Sterne-Hotel und können ausschlafen.“

Im Ort am Fuß des Berges übernachten wir in einer alten kaputten Villa. Mit Badewanne! Leider ohne Wasser. Macht nichts, am Ende der Reise bekommen wir ein fünf-Sterne-Hotel …

„Und können ausschlafen“, sagt mein Mann hinzu, als wir in der Dunkelheit los wandern, ausgerüstet mit warmen Kleidern und guten Schuhen. Die bunten Plastikplanen der Tee- und Andenkenstände am Weg sind alle noch herunter gezogen wie schlafende Augenlider. Wir begegnen nur stummen Buddha-Statuen. Und vielen müden Japanern und Russen,  ausgerüstet mit warmer Kleidung und gutem Schuhwerk …

„Hah!“, sage ich. „Wir haben es geschafft, früher aufzustehen als die Pilger!“

Schließlich öffnen die Teestände. Wir erklimmen Stund um Stund steile Stufen und machen auch gar nicht viele Teepausen, nur nach jedem dreizehnten Buddha (ungefähr alle zehn Minuten). Als wir fast oben sind, kommen uns die Pilger entgegen. Alte Frauen, kleine Kinder, Schwangere, alle in Plastiksandalen und leichten Röckchen. Die sind schon wieder auf dem Rückweg! Beschämt schleichen wir zum Tempel hinauf, um gemeinsam mit den Russen und Japanern den den Sonnenaufgang zu betrachten. Der ist auch wirklich unvernebelt und spektakulär – nehme ich an. Gesehen haben wir ihn nicht, denn der Tempel wird von riesigen Scheinwerfern angestrahlt, die uns direkt ins Gesicht scheinen. Im Tempel selbst befindet sich ein heiliger Fußabdruck. Die Engländer nennen den Berg Adams Peak, weil der Abdruck von Adam stammen soll. Der hat sich seinerzeit so über Evas Spleen betreffs gesunder Ernährung durch Äpfel geärgert, dass er beim Aufstampfen mit dem Fuß den Abdruck im Felsen hinterließ. Auf Sinhala heißt der Berg Schmetterlingsberg, aber später haben die Sinhalesen wohl gemerkt, dass der Fußabdruck für einen Schmetterling etwas groß ist und sagen jetzt, der Abdruck wäre von – Überraschung! – Buddha. Das ist auch der Grund dafür, dass sein Schatten, der morgens auf den Nebel fällt, ein gleichschenkliges Dreieck darstellt, obwohl der Gipfel gar nicht dreieckig ist: Es ist der Schatten des heilige Dreikant-Edelsteins, ein Zeichen der buddhistischen Lehre, das ich leider nicht verstanden habe. Ich glaube allerdings nicht, dass der magische Schatten etwas mit Buddha zu tun hat. Ich würde sagen, das ist Reklame für die Filmproduktionsfirma Paramount.

Wir fotografrieren den Schatten – habe ich eben fotografieren geschrieben? Vielleicht liegt das daran, dass ich am nächsten Tag krank bin. Bellender Husten und Fieber, mindestens 40 Grad – im Schatten. Mein Mann faltet meine Reste ordentlich zusammen, stopft sie in einen Bus zur Küste und breitet mich am Strand wieder aus Nach 36 Stunden Sonneneinstrahlung sind Fieber und Husten kuriert. Dafür habe ich jetzt einen Sonnenbrand. Macht nichts, wir bekommen ja bald ein fünf-Sterne-Hotel mit schönen kühlen Räumen …

Zuvor aber – das Galle-Literatur-Festival! Ich bin Teil einer englischen Podiumsdiskussion, ich bin die Quotenfrau, die Quoteneuropäerin, die Quoten-Kinderbuchautorin und die Quoten-Nicht-Muttersprachlerin. Das muss der Grund sein, aus dem ich dort sitze. Zu Wort kommen tue ich nämlich nicht. Was auch egal ist, da die ich die abstrakt-philosophischen Fragen ohnehin nicht begreife. Später am Nachmittag darf ich lesen, in einem wunderschönen Ambiente, sagt der Chef vom Goethe-Instituts. Das Ambiente ist wirklich wunderschön, ein Restaurant-Garten eine halbe Autostunde vor Galle. Leider kommt kein Publikum. Kinder haben auch in Sri Lanka selten Führerscheine, um zu Hotelgärten hinauszufahren. Ashok Ferrey, ein einheimischer Autor, leiht mir die Hälfte seines erwachsenen Publikums. In Sri Lanka sind übrigens die Verlage so schlecht, dass die Autoren ihre Bücher selbst drucken lassen.

VORSICHT REKLAME, lesenswert: Serendipity.

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REKLAME ENDE.

Ich sehne mich inzwischen wirklich nach dem fünf-Sterne-Hotel. Es befindet sich auch ein bisschen außerhalb, was daran liegt, dass es einfach nicht in die Stadt Galle hineinpassen würde. Es ist nicht alt, dafür aber groß. Es besteht aus weißen Säulen, die sind nicht schön, aber hoch, und es hat einen Pool, der ist nicht nötig (das Meer ist nebenan), aber neu. Eine Menge Leute sind nur dazu angestellt, in weißen Kleidern herumzulaufen, den Gästen ihre Vornamen mitzuteilen und sie zu fragen, wie es ihnen geht. Unsere Suite ist so groß, dass ich meinen Mann darin länger nicht wiederfinde. Wir putzen uns die Zähne an fünf Meter voneinander entfernten Waschbecken. „Aah“, seufze ich. „So habe ich mir das Eheleben immer vorgestellt.“

Schließlich fallen wir in das riesige Bett und versuchen, die ungefähr dreißig Lampen mit der Fernbedienung aus zu knipsen, Schalter haben sie nämlich keine. Auf der Fernbedienung gibt es Knöpfe für Candle Light Dinner, Slow Romance, Bright Sunshine … aber keinen für AUS. Wir ziehen wir alle Stecker. Hähä, jetzt leuchten die Lampen per Batterie! Und aus Verwirrung haben sie jetzt alle angefangen, zu blinken. „Ich will zurück auf den Berg!“, jammere ich, „in das verstaubte Zimmer ohne Wasser im Bad!“ Wir nehmen unsere Sachen aus dem Haus-großen Kleiderschrank und schleichen leise aus dem Hotel, und dann schlafen wir, endlich, im gemütlichen, dunklen, so viel besser zu uns passenden, authentisch einheimischen Straßengraben.