Vazaha-Pousse

Es gibt diesen alten Witz von dem Typen, der den anderen Typen fragt, ob der hintere Blinker geht, und der Typ sagt: Geht – geht nicht – geht – geht nicht …

So ist es mit fast allem auf Madagaskar: Es geht – geht nicht – geht – geht nicht …

Antisrabe ist die Stadt der Cyclo-Pousse der Fahrrad-Rishas.

Sie verstopfen die Straßen in allen Farben unter dem Himmels, eckige Riesendreiräder aus Holz und Metall: hundertprozentig ökologische Stadttaxis.

Um ein Cyclo-Pousse zur Schule zu nehmen, eine Fahrt von zehn Minuten, braucht man 1000 Ariary, umgerechnet etwa 37 Cent. Leider hat man niemals Tausender, die Bank gibt einem nur Zehntausender, und dann muss man lange suchen, bis man jemanden findet, der einen Zehntausender wechseln kann, beinahe kann man mit einer Tasche voller Zehntausender verhungern, denn nicht einmal die Lebensmittelläden wollen sie haben. Es ist also jedes Mal vor Schulbeginn ein heilloses Kleingeldgesuche.

Und außerdem muss ich mal raus, die schöne Natur erkunden.

Also kaufen wir ein Cyclo-Pousse. Uby, die Tochter unserer Integrationshelferin, führt uns über den Samstagsmarkt, wo zwei Kilo Katze im Bastkorb kaufen (vier Stück, sehr handlich), und dann noch gefühlte zwei oder drei Stunden weiter durch dichten Verkehr und staubige Sträßchen, und schließlich landen wir auf einem kleinen Hof: der Cyclo-Pousse-Fabrik.

Hier werden gerade die Metallgestelle gestrichen, von der Frau des Fabrikbesitzers im Alleingang.

Tatsäch fragt uns der Herr ausschließlich nach der Farbe, die das Pousse haben soll.

Grün, sagen wir, wie früher zu Hause unser Hippybus.

Man diskutiert ausführlich über die Farbe der Sitzpolster, des Metallrahmens, des Fahrrades und des Sattels, die Katzen geben aus der Tasche Kommentare dazu ab – und zwei Tage später wird das Cyclo-Pousse geliefert. Es ist grün.

Die Katzen, die inzwischen das Haus erobert haben, sehen es und lachen sich tot.

Wir hingegen sind glücklich, kleben Blumenaufkleber darauf und pinseln hinten Vazaha-Posy drauf, „Vasah-Pousse“, was in etwa „Fremden-Taxi“ bedeutet, oder auch „Fahrradriksah der weißen Nulpen, die hier entlangstrampeln und von nicht seine Ahnung haben.“

Jedenfalls wird in den Straßen von da an herzlich über mich gelacht, wenn ich die Kinder zur Schule fahre. Alle freuen sich, dass die Vahzahas auch mal arbeiten und schwitzen. Und wie ich schwitze! Vor allem, da das Ding nur im ersten Gang fährt.
Um das Gleichgewicht zu halten, muss man sich zur umgekehrten Seite lehnen wie man es beim Fahrrad tun würde, es dauert, bis ich mich gewöhne, und um zu bremsen, muss man vorn mit der Hand einen Hebel bedienen, wobei das eine Art Hebel ohne Hebelwirkung zu sein scheint, ein Wunder der Physik. Zu deutsch: Es erfordert enorm viel Kraft. Ansonsten kann man über das Vazaha-Pousse sagen: Geht — geht nicht – geht – geht nicht.

Wir rufen den Hersteller an, dessen Telefon gerade nicht geht (geht .. geht nicht …). Also suche ich einen Fahrraddoktor am Straßenrand auf, der leider kein französisch kann. Er dreht das Pousse um, haut es mit einem großen Vorschlaghammer auseinander (dabei entdecken wir ein Geheimfach) und baut es wieder zusammen. Drei Schrauben bleiben übrig.

Jetzt befindet es sich im dritten Gang, kann allerdings nicht mehr in den zweiten oder ersten. Als wir zu Hause sind, hat der Hersteller doch noch seinen Reparateur vorbeigeschickt, und das ist gut, denn nun geht die Bremse nicht mehr. Der Reparateur, der leider kein französisch kann, nimmt das Pousse wieder auseinander und setzt es wieder zusammen. Danach findet Philipp auf der Erde ein kleines Metallteil. Der Reparateur betrachtet es ratlos, schraubt dann ein Pedal ab, das vorher heil war, baut das Teil ein und schraubt das Pedal wieder an.

Nun ist ein anderes Teil übrig, das er für Notzeiten in die Tasche steckt.

Ich fahre wieder los, um endlich den Ausflug ins Grüne zu machen, die schöne Natur und so – doch es gibt nur Verkehr, Ochsenkarren und Abgase, und mitten in all dem Chaos springt die Kette ab. Egal, ich baue sie wieder an. Drei Minuten später springt sie nochmal ab. Ich baue sie wieder an. Sie springt ab. Ich baue sie an. Sie springt ab … um das Pousse im dichten Verkehr zwischen den metertiefen Schlaflöchern zu parken, ziehe ich jedes Mal die Bremse an. Leider hält der Haken nach den ersten drei mal nicht mehr, ich ziehe die Bremse mit viel Kraft an – und der Hebel verbiegt völlig. Gut, ich bremse also nur noch in den Schlaglöchern, um die Kette zu reparieren. Die schöne Natur finden wir leider nicht und kehren um, und zu Hause lachen die vier Katzen schon wieder, ich weiß gar nicht, was so lustig ist.

Am nächsten Tag sagt ein netter madegassischer Schülerpapa vor der Schule: „Oh, das Pousse ist ja seeehr stabil. Ich hab ja noch nie ein Pousse aus so dickem Metall und Holz gesehen, ordenlich schwer, liegt sicher gut in den Kurven. Sonderanfertigung?“

„Jaja“, sage ich. „Liegt prima in den Kurven. Vor allem bei über vierzig km/h …“

Inzwischen bin ich in Antsirabe bekannt als die verrückte Vazahafrau mit den schwarzen, ölveschmierten Händen, die manchmal unflätig in einer unbekannten Sprache flucht. Wir versuchen es mit der anderen Richtung, um mit Mi und No endlich ins Grüne zu fahren, Kette reparieren kann ich ja jetzt … leider verlieren wir diesmal, mitten zwischen Ochsenkarren und Abgasen, das neu angeschraubte Pedal. Wir finden einen Fahrraddoktor, der es wieder anbaut, dazu benutzt er den bekannten Vorschlaghammer, auf der anderen Seite des Pousse fallen mehrere Dinge in den Dreck und versinken in einer fliegenumsurrten Kloake.

Glücklich fahren wir weiter, es stört uns auch nicht, dass die Kette abspringt, bald sind wir im Grünen, außerhalb der Stadt … schade nur, dass die Kette sich diesmal zwischen äußerem Zahnkranz und Schutzblech verkeilt. Ein netter Cyclo-Pousse-Fahrer repariert sie, mitten zwischen Ochsenkarren und Abgasen. Prima, jetzt geht es wieder, zwar wieder nur im ersten Gang …

Ehrlich? Schieben ist auch ganz schön. Und wer braucht eigentlich Natur? Wir biegen in eine ruhigere, naturfreie Seitenstraße ab und finden an ihrem Ende die malerische Tisko-Ölfabrik. Dort gehen wir ein bisschen auf dem Parkplatz spazieren, freunden uns mit einigen Straßenkindern an und finden ein Stückchen Kohle, mit dem Mi und No ausführlich die Straße bemalen. Wenigstens haben sie jetzt so schwarze Finger wie ihre Mutter.

Zurück geht es, zwischen Ochsenkarren und Abgasen … dann stehen wir eine Stunde im Staub, denn in Madagaskar kann man auch mit dem Fahrrad im Stau. Kurz vor der Haustür fällt das Pedal wieder ab.

Als wir das Pousse in den Garten rollen, sitzen die Katzen kichernd auf der Treppe.

Ich sehe das hübsche grüne Cyclo-Pousse im hübschen grünen Garten an und seufze. Langsam verstehe ich, warum der Hersteller mit uns nur über die Farben sprechen wollte. Die Farben sind das wichtigste. Der Rest geht sowieso nie. Ab jetzt werde ich das Ding, wenn ich Auslauf brauche, einfach immer langsam um das Haus herumschieben. Ab und zu kann ich es ja mit einem Hammer auseinander hauen und ein paar Schrauben wegwerfen.