Wo ist eigentlich der Blog?

Hat sie ihn vergessen?
Nein, sie tut nur wieder zwanzig Dinge auf einmal.

Holy und die Regisseurin

Vor allem retten wir im Moment eine Schule.

Und das kam so:
Unsere Integrationshelferin, Martine, hat zwei Töchter: Uli und Ubi. Zunächst sorgt das für Verwirrung, Uvy heißt Kartoffel, und am Anfang dachte ich immer, Martine würde von Kartoffeln reden und wunderte mich, warum diese Kartoffeln an einer Schule arbeiten.

Dann schlug Martine vor, eine Kartoffel könnte mir Malgache-Unterricht geben, und als die Kartoffel kam, war es eine Schuldirektorin.
Wir lernten genau eine Stunde lang Malgache, dann unterhielten wir uns über Schulprojekte.

Ich weiß nicht, ist das Vorsehung oder Dummheit, aber es zieht sich durch mein Leben: Ich lerne dauernd Schuldirektoren kennen, die Chaos verbreiten, tolle Projekte machen und in chronischer Geldnot sind.

les plus petits acteurs – fachés avec la directrice – scene du film

In Indien war es ein pensionierter englischer Polizist, der eine Dorfschule aufgezogen hatte, danach ein jüngerer Inder, der als Kind von der Schule geflogen war und jetzt eine kreativere Schule leitet,

in Greifswald die Montessorischule, die zum Glück Eltern mit Geld hinter sich stehen hat, in Wolgast die Korczakschule, bei der wir alle Projekte über phantasievolle Förderanträge finanziert haben … An allen Schulen habe ich angefangen, experimentelle Theatergruppen aufzuziehen, die sehr lustig waren und sich dann selbständig gemacht haben. In Indien haben wir ein Stück ohne Sprache gespielt, bei der Schauspieler hinter großen außerirdischen Masken nur das Wort „Mam“ sagen durften, beim Proben fiel jemandem eine Tür auf den Kopf, und bei der Premiere saß ich in Sri Lanka fest, wo ich nur mein Visum hatte erneuern wollen.

discussion entre les detectives – scene du film

In Greifswald spielten wir ein Stück, bei dem nicht mal die Schauspieler vor der letzten Szene wussten, wer von ihnen der Mörder war – und das Publikum ermordet wurde.

Und an der Korczakschule haben wir ein dreistündiges Musical mit Flüchtlingen und lernschwachen Rechtsextremen aufgezogen, die sich auch noch in einem Theaterlager zwei Wochen lang vertragen mussten, während draußen Pegida marschierte.

Mein Mann schlug dann vor, wir sollten als nächstes in Guantanamo ein Stück mit Taubstummen machen, da wir uns sonst bei unseren steigenden Schwierigkeitsgraden vermutlich unterfordert fühlen würden.

Stattdessen sind wir in Madagaskar und – drehen demnächst in neun Tagen einen dreisprachigen Kinderfilm.

Okaaaaay, von vorne.

Die Schule der Kartoffel, die eigentlich Uli heißt (mit ganzen Namen: Holimalala Helimanana Rafamatarantsoa) ist winzig klein und liegt in einem Dorf namens Talata, was Dienstag bedeutet. Was wiederum bedeutet, dass sie umgerechnet nur an jedem Dienstag genug Geld hätten, um sie überhaupt zu leiten. Die Schule selbst heißt „College der Tauben“, aber die Kinder können alle hören. Okay, das war eine Fehlübersetzung, ich habe dann nochmal nachgesehen: „les pigeons“ sind die VÖGEL.

detective Bema ne fait rien que manger des biscuits

Uli und Ubi haben diese Schule vor dreizehn Jahren aufgezogen, Uli arbeitet seitdem dort ehrenamtlich, und zwar Vollzeit, ohne je einen einzigen Ariary dafür zu bekommen. Ubi unterrichtet und hilft ab und zu, auch ohne Geld, da sie noch eine andere Stelle hat, spendet sie vor allem dauernd. Die Eltern der Schulkinder zahlen nämlich selten ihr Schuldgeld, das zwar schon viel weniger ist als das Schulgeld an staatlichen Schulen, aber eben für diese Familien immer noch zu viel. Einige Kinder zahlen chronisch gar nicht, zum Beispiel das Geschwisterpaar, das alleine lebt und immer mit komisch zusammengestellten Kleidern und zu spät zur Schule kommt, weil die Mutter weit weg arbeitet und der Vater tot ist. Solche Geschichten gibt es viele …

Aber wir wollen hier nicht auf die Tränendrüse drücken.

Die Schule sucht seit dreizehn Jahren eine anständige Finanzierung, ist seitdem fünf Mal umgezogen, weil das billig gemietete Haus immer an jemand besser bezahlenden weitervermietet oder verkauf wurde, und nun muss sie zu den nächsten Sommerferien auch aus dem Häuschen in Talata ausziehen.

Das Häuschen: siebzig Kindern auf gleichvielen Quadratmetern, fünf Räume, zehn Klassen. In fast jedem Raum eine selbstgebastelte Trennwand aus Stoff und Holzlatten, die dauernd umfällt. Dann machen da also ungefähr sieben Lehrer gleichzeitig Unterricht, inklusive der Kindergartengruppe ist das ein akustisches Abenteuer. Das Büro der Kartoffel ist ein angebauter Bretterschuppen.

Durchregnen tut es überall, keine Frage, die Tafeln bestehen aus angemalten alten Fensterläden, von denen die dunkle Farbe aber seit langem abblättert, und das Klo – darüber sprechen wir jetzt nicht.

les detectives en train de sauter par la fenetre pour suivre le suspect

Gut.

Durchatmen.

Wir nehmen das in die Hand.

Die Welt ist kaputt, an irgendeiner Ecke muss man anfangen, sie aufzuräumen, warum nicht in einem Dorf namens Dienstag.

Ich maile SOS an Ralph, und er zaubert eine Webseite aus dem Hut. Wir brauchen Photos, damit wir Spender bekommen. Wir müssen einen Verein gründen, damit die Spenden absetzbar sind. Und zwar in Madagaskar UND in Deutschland – in Madagaskar dauert das bis zu fünf Jahren, in Deutschland ein Jahr. Aber Madagaskar wäre nicht Madagaskar, wenn es mit Bestechung nicht schneller ginge. Der Verein „Taxi Ankizy“, Kinder Taxi, ist nach einem Monat handlungsfähig. Der deutsche Verein, „Kinder für die Zukunft“, wartet noch immer auf Nachricht vom Amt. Ach, könnte man doch ein paar Leute bestechen …

Heute unterschreiben wir den Grundstückskaufvertrag, dank meines erstaunlichen Vaters haben wir demnächst tausend Quadratmeter tolles madagassisches Land, auf dem wir bald Bäume pflanzen werden, damit die Kinder lernen, dass BÄUME TOLL SIND. Leider haben wir aber kein Schulhaus.

on cherche des lieu – ici, les mauvaises vont enfermer les detectives … coulisse comme dans la derniere siecle

Wir bekommen wir jetzt mehr Spender ran? Was bieten wir denen? Handgestrickte Socken aus alten Plastikflaschen? Fußgehäkelte Geldbeutel aus Reisstroh? Selbstgemalte Postkarten? Nee, das geht nicht, allen Pappkarton brauchen sie gerade, um das Dach zu flicken … (keine Ahnung, warum Madagassen glauben, Pappe hielte Regen ab, das Ergebnis sind SEHR NASSE Kindergartenkinder).

Nein, sage ich, wir drehen einen Film. Den können alle Spender übers Internet ganz schnell bekommen.

Oh ja!, sagt Ralph. Eine Doku über das Leben der Schulkinder!

Ich gähne. Ich liiiiebe Dokus, man kann so prima dabei schlafen.

Wie wäre es stattdessen mit … einem Kinderfilm? Einem richtigen Kinderfilm? Mit Detektiven und Bösewichtern und Verfolgungsjagd, alles an der kleinen Schule und in dem Dorf? Ralph hat neun Tage Zeit zum Drehen.

Ich will Zeburinder! Ich will Regenmatsch, mit dem man werfen kann! Ich will Müllberge und Bettler und ein Happy End!

Ja, ich will ein Happy End. Ganz dringend. Für Talata, für die Kinder, die eines Tages das Land übernehmen und noch mehr Bäume pflanzen, für die Kinder überhaupt. Für diesen kleinen kaputten blauen Planeten. Und deshalb sind wir Taxi Ankizy, das Kindertaxi, das die Kinder selbst in eine abenteuerliche Zukunft lenken (es wird ein Tret-Taxi, CO2 neutral, versprochen 🙂

conversation des detectives

Also gibt es ab jetzt erst mal keinen Blog mehr, sondern Neuigkeiten vom Filmdreh: jeden Montag und Donnerstag, wenn ich mit dem Fahrrad die Berge rauf und runterkeuche, nach Dienstag. Zu meinen Detektiven.

Vielleicht findet sich unter meinen Lesern ja doch der ein oder andere, der eine Mini-Partnerschaft übernimmt und uns hilft.

PS: Im Französisch auf dieser Seite SIND FEHLER. Wir wissen das. Es sind Fehler der madagassischen Kinder und Lehrer, manchmal lustige Fehler, und wir finden, sie müssen drin bleiben, weil sie authentisch sind.

Website der Schule
http://www.les-pigeons.mg/