Jumar sah, wie Christopher die Augen schloss und sie wieder öffnete. Dann begann er, Niya nachzuklettern, und Jumar folgte ihm. Der Wind, der um sie herumstrich, sang sein Lied in den Spalten des Felsens, sang von Tiefe und Höhe und von uralter Zeit. Aber auch der Wind verriet ihnen nicht, wohin die Haken im Felsen führten.
Nach einer Weile führten die Haken aufwärts, weiter und weiter, und Jumars Hände begannen zu schmerzen. Das machte ihm Angst. Wenn die Kraft ihn verließ, ehe sie das Ende dieses bodenlosen Pfades erreichten, würde er in die Tiefe stürzen, schwer wie ein Stein. Und es würde ihm nichts nützen, dass sein Fall ein unsichtbarer wäre. Er würde unten auf dem harten Felsen aufschlagen und nie, nie herausfinden, was damals vor seiner Geburt geschehen war. Und nie, niemals sichtbar werden.
In diesem Moment schrie Niya auf, und er zuckte zusammen. Er sah, dass sie nach oben blickte. Und von dort, hoch über ihnen, kam einer der Farbdrachen heruntergeschwebt.

Es war der größte und schönste Drache, den Jumar bisher gesehen hatte. Seine Flügel glitzerten türkis und tiefblau in der Sonne, sein Körper schillerte violett, und von seinem langen Hals ging ein goldenes Gleißen aus, das beinahe zu hell war, um hinzusehen. Hatte der Drache sie entdeckt? Er kam immer näher.
Jumar sah, wie Niya eine Hand vom Felsen löste und ihr Gewehr anlegte. Sie schaffte es, mit der einen Hand den Hahn zu betätigen; Jumar hörte das Klicken in der leeren Luft schärfer und deutlicher als je zuvor. Der Drache war jetzt ganz nahe … dann löste sich der Schuss. Jumar hielt den Atem an.
Er hatte erwartet, das Tier würde einen Schrei von sich geben, würde taumeln – doch der Drache schwebte noch immer an der gleichen Stelle, und etwas Buntes – etwas wie Federn rieselte aus der Luft zu ihnen herunter. Hatte die Kugel ihn nur gestreift? Eine der Federn landete in der Kapuze von Niyas Parka – Jumar sah das blaue Schillern dort. Er sah, wie Niya noch einmal mühsam mit einer Hand lud, er hörte den zweiten Schuss: Wieder glaubte er, sie würde treffen, und wieder geschah nichts. Es war, als hätte Niya das Schießen verlernt.
Und dann sah Jumar, dass es keine Feder war, die sich in Niyas Kapuze verfangen hatte. Es war ein Schmetterling.