Prolog

„Wir haben die Hexe getötet!“
Es war dieser erste Satz, der ihm immer im Gedächtnis bleiben würde.
Ein erster Satz auf einer Bühne. Vor dem noch geschlossenen Vorhang. Er träumte davon, Jahre später. Träumte davon, wie er diesen Satz rief:
„Wir haben die Hexe getötet!“
Da war ein Triumphschrei im Hintergrund, ein grelles Juchzen, wie das der Tänzer in Lateinamerika, wenn die Mädchenröcke hochfliegen, die Männer ihre Hüte in die Luft werfen und mit den Füßen auf den Boden stampfen.
„Wir haben die Hexe getötet, wir haben sie brennen sehen. Sie wird nie zurückkehren. Aber ihr, ihr wollt wissen, wie alles begann.“
Und dann glitt der Vorhang auseinander.
Da stand sie, mit ausgebreiteten Armen und gespreizten Fingern: die Hexe.
La bruja.
Ihre Gewänder waren schwarz, die weiten Ärmel wie Flügel, ihre Schultern schmal, ihr Gesicht nicht schön: Schatten unter den Wangenknochen, die Augen sehr groß geschminkt.

Aufrecht stand sie da, hochmütig fast, und doch schon im Wissen, dass sie verlieren würde.
Eines würde sie aber nicht verlieren, man sah es ihr an: ihren Stolz. Ihr Stolz war es, der sie so unheimlich machte, von der ersten Sekunde an. Ihr Trotz.
„Wir haben die Hexe getötet!“
Er hatte später Dinge über das alte Lied gelesen, die mexikanische Legende der blutsaugenden Hexe. Die Tänzerinnen von Veracruz, die zu den überlieferten Worten tanzten, trugen brennende Kerzen auf dem Kopf. Wenn eine stolperte, würde das Wachs ihr in die Augen laufen und die Welt für immer auslöschen.
Manchmal sah er im Traum auch sie eine Kerze auf dem Kopf balancieren.
La bruja.
Im Schlaf spürt er noch ihre Hände in seinen, eiskalt waren sie.
Knochige Handgelenke, abgekaute Nägel.
Aber ihr Blick ist von Anfang an gewesen wie das Feuer.