Mit einem Mal zerteilte ein bekanntes Rauschen die Luft, und Sophie fuhr erschrocken hoch. Das Rauschen näherte sich rasch. Noch ehe sie sich nach einem schützenden Gebüsch umsehen konnte, tauchte über den Wipfeln der Bäume ein rotes Glühen auf, ein Flügelschlagen und Federrascheln. Sophie sprang auf, taumelte ein paar Schritte rückwärts, den Hang hinauf, und sah dem Rot entgegen.
Ja, da stand sie vor dem kahlen Hügel wie vor einer weißen Leinwand und hob den Kopf zum Himmel und wartete, dass die acht riesigen, blutroten Raben auf sie herabstießen. Es war zu spät, viel zu spät, um sich zu verstecken.
Sie ballte die Fäuste, biss die Zähne zusammen und sammelte alle Kraft in sich, aber nichts davon würde ihr das Geringste nützen, denn gegen die roten Raben kam man mit Fäusten nicht an.
In einem schönen V flogen die acht auf sie zu. Sophie spürte den Wind, den sie mit ihren Schwingen verursachten. Einen dunklen, bösen, gierigen Wind.

Ganz nahe waren sie schon – da geschah etwas Seltsames. Genau über der Stelle, wo sich der runde Hügel aus dem Wald erhob, machten die Raben eine abrupte Kehrtwende und drehten ab. Mit einem wütenden Aufschrei warfen sie ihre blutroten Federkörper zurück in den Himmel.
Sophie stand da und starrte ihnen nach und verstand überhaupt nichts. Ihre Knie waren ganz weich. „Theo“, flüsterte sie. „Theo, sie haben gedreht! Was ist geschehen?“
Aber Theo war nicht da, Theo saß zu Hause herum und war sauer auf sie. Wie sehr wünschte sie sich in diesem Augenblick, er stünde neben ihr und könnte ihre Fragen beantworten! Sie zog ihre Turnschuhe aus, um das weiche Gras zu fühlen, und wanderte den Hügel hinauf bis zur höchsten Stelle. Es war dieselbe Stelle, von der aus sie in der Nacht auf die schwarze Masse der Bäume hinuntergesehen hatten, als Flar plötzlich nicht mehr da gewesen war.
Der Wind pfiff über die Hügelkuppe und trieb Wolkenschatten über das geduckte Gras.
Aber das Gras war nicht alles, was auf dem Hügel wuchs.