Und dann hatte sie eines Tages gewusst, dass es Zeit war zu sterben, und hatte sich hingelegt und das getan.

Svenja wusste nicht, was zu tun war. Niemand bringt einem in der Schule bei, wie man reagiert, wenn man im Schrank einer Mietwohnung ein Kind findet, das nicht mit einem spricht.
Sie legte den neuen weißen Anatomiekittel in ihre Tasche. Darauf den kleinen Holzkasten mit dem Präparierbesteck, ebenfalls neu. Sie roch das Neue an ihren Händen. Doch als sie etwas später den Holunder zur Seite bog und die Haustür zuzog, hing in ihrem Kopf noch der dunkle Blick des Kindes. Und der dunkle Blick war auf merkwürdige Weise uralt. (…)

Es geschah vier oder fünf Tage später.
Es geschah nachts.
Eigentlich geschah nichts.
Svenja wachte auf, und der Platz unter dem Bett war leer wie so oft. Aber diesmal war etwas anders, sie spürte es. Da war ein stilles Atmen.
Nashville war noch nicht fort oder schon wieder da.
Sie stand leise auf und trat in den Flur.
Etwas klickte. Die Wohnungstür. Leichte Schritte liefen die Treppe hinunter.
»Er geht«, flüsterte sie. »Er geht, und später kommt er wieder.
Aber wo ist er in den Zwischenzeiten?«
Sie schlüpfte in ihre Jacke und ihre Schuhe. Irgendwann musste sie ihm ja doch nachgehen, um herauszufinden, was er tat. Ihr klarer Sternenatem schlug ihr kühl entgegen, als sie aus der Haustür trat. Sie sah den Schatten am Rand des Platzes gerade noch verschwinden. (...)