Es war, als hätte im Tempel von Mysore nur ein schattenhaftes, unwirkliches Abbild des Tigers gewartet. Nun, in der Freiheit, wurde er wieder zu dem, was er vor seiner Gefangenschaft gewesen war: einer jungen, kräftigen Raubkatze mit tödlichen Krallen und unbesiegbarem Gebiss – einem Geschöpf, das nur einem wahren Helden als Reittier dienen konnte.
Nur vor dem Wasser schien Nitish noch immer Angst zu haben. Selbst über die allerkleinsten Rinnsale setzte der Tiger mit panisch hohen Sprüngen. In seinem Inneren saß noch immer die Furcht davor, durch einen Tropfen Wasser zu versteinern.
Im Morgengrauen machten sie Rast unter einem Banyanbaum mit weit auslandenden Ästen, nahe beim Wasserspeicher eines Dorfes. Nitish fing einen Vogel, eine der geschwätzigen schwarzen Mynas mit den hellen Augen. Doch ehe er sie fraß, beäugte er den Wassertank misstrauisch.
„Es wird nicht herauskommen, nicht wahr?“, erkundigte er sich.

Farhad lachte. „Aber nein.“
„Frisst es Vögel?“, fragte Nitish. Zwischen seinen Pranken lag der kleine schwarze Vogel noch immer unangerührt.
„Das Wasser? Nicht, dass ich wüsste.“
„Ich dachte nur“, meinte der Tiger. „Ich dachte, dass es neidisch werden könnte. Du bist dir sicher, dass es keine Vögel frisst?“
„Ganz sicher“, antwortete Farhad. „Das Wasser frisst Menschen, aber keine Vögel. Tote Menschen. Wir füttern es mit ihrer Asche. Wenn wir den Edelstein gefunden und Gaya hinter uns gelassen haben, kommen wir nach Varanasi. Dort wirst du sehen, wie das Wasser die Reste der Menschen frisst.“
Nitish schüttelte sich. „Asche“, sagte er abfällig und riss einen Flügel von dem kleinen Vogel, um ihn genussvoll zu zerkauen. „Das Wasser muss sehr dumm sein, wenn es Asche frisst. - Sag mal, mein Freund, wie bist du eigentlich an diesen Auftrag gekommen?“