„Zufällig?“
Ximena seufzte.
Sie gingen jetzt am Fluss entlang, das Morgenlicht ließ das träge Wasser glänzen wie einen Spiegel. Um diese Zeit saßen noch keine Verkäufer und Bettler und Liebespärchen auf der Mauer.
„Ich wandere seit einer Weile frühmorgens durch die Stadt, um nachzudenken“, sagte sie leise. „Ich kann die Delfine nicht vergessen. Wie sie mich gerufen haben, draußen im Urwald ...“
„Du langweilst dich zu Tode, in der Villa mit deinem Großvater“, sagte Pablo mit einem Grinsen, „zwischen den Büchern und den regelmäßigen Mahlzeiten.“
„Und dem Kindermädchen und dem Privatlehrer“, sagte Ximena. „Ja.“
Sie streckte die Hand aus, als wollte sie den Rio Negro streicheln wie ein großes Tier.
„Der Fluss kommt aus dem Urwald und fließt in den Urwald“, flüsterte sie. „Irgendwo in ihm schwimmen die Delfine, irgendwo an seinem Ufer wartet Davi. Meinst du, er denkt an uns?“
„Keine Ahnung.“ Pablo zuckte mit den Schultern. „Ich hab andere Sorgen. Jeden Tag was zu beißen zu finden zum Beispiel.“

 

„Ach, gib´s zu“, sagte Ximena. „Du würdest auch gerne wieder was erleben.“
Sie kletterte auf die Mauer und rannte los, der Rock ihres veilchenblauen Kleides wehte im Wind. Pablo kletterte hinterher. Es war schön, auf einer Mauer in den Morgen zu rennen, auch wenn er es nie zugegeben hätte.
Schließlich sprangen sie hinunter, und Ximena führte ihn durchs Gewirr der Gassen bis in eine Seitenstraße mit einem alten Tor. Es hing schief in den Angeln und schloss nicht mehr richtig.
„Da!“, flüsterte Ximena. „Siehst du?“
In dem kleinen Hof hinter dem Tor war im Schatten eines Baumes ein Polizeiauto geparkt, und daneben standen drei Polizisten und rauchten. Sie sahen müde aus. Ein Grüppchen anderer Leute hatte sich in der Nähe versammelt, sie diskutierten und zeigten immer wieder auf das Gebäude, zu dem der Hof gehörte und dessen doppelflügelige alte Holztür offenstand: das alte Naturkundemuseum. Es stand in abblätternder Schrift über dem Eingang.
„Ach so, das Museum“, murmelte Pablo.
Es gab noch ein anderes, moderneres Naturkundemuseum, etwas außerhalb der Stadt, das einem Japaner gehörte und eine Menge großer und prunkvoller Ausstellungsstücke besaß,