Für Potenz und gegen Fieber

Die Einstellung der Guatemalteken zur Medizin ist, sagen wir, interessant.
Wir helfen bei einem Outcamp in einem kleinen Dorf mit und lernen einheimische Heilmethoden: Bei Fieber betroffenes Kind fest in mindestens drei Wolldecken einwickeln. Auf keinen Fall mit Wasser oder Luft in Berührung bringen. Vitaminspritze geben.
Bei Diabetes eine Flasche Cola auf ex trinken, das tötet die bösen Geister (das verstehe ich, eine Flasche Cola auf ex würde mich auch töten). Vitaminspritze geben.
Bei Herzbeschwerden kleine weiße Tabletten in der Tasche mit sich herumtragen und ab und zu kurz betrachten. Vitaminspritze geben.
Bei Husten vier Tage lang nicht die Haare kämmen. Vitaminspritze geben.
Bei Krätzmilbenbefall ein Bild von einem Bottich mit Seife neben den Schrank mit der Bettwäsche hängen. Vitaminspritze geben.
Bei allen anderen Problemen Entwurmungskur. Auch bei Ohrwürmern wirksam. Allerdings kriegt man die Tabletten so schlecht in den Gehörgang … In jedem Fall Vitaminspritze geben.
Weitere Fakten lerne ich in einem Bus, der schlingernd die Interamerikana hinunter rauscht. Die Interamerikana, dachte ich immer, wäre eine Autobahn. Aber ich muss mich verhört haben: Es handelt sich um eine Achterbahn. Die Überlebenschance beträgt für Einheimische 50%, für Touristen 65% – die Touristen sind größer und dicker, klemmen zwischen den Sitzen fest und werden daher weniger oft aus dem Fenster geschleudert. Zur Unterhaltung gibt es in den Bussen Pharmavertreter. Beim ersten Besuch in Guatemala versuchten wir unser Glück ebenfalls und versicherten den Leuten, Fishermans wären eine europäische Heilmethode für Typhus, und zwar ehe man ihn bekommt. Die Fishermans gingen weg wie warme Vitaminspritzen …
Diesmal begegnen wir einem schielenden Herrn, der beim Sprechen mit dem Hals schlenkert wie ein Wackeldackel und irr in die Ferne starrt, während er doziert. Vom Limonadetrinken, lehrt er uns, bekommt man Osteoporose, von grünem Salat Parkinson. Und schließlich verkauft er ein Potenzmittel, das angeblich aus 30 Tage-alten Bienen hergestellt ist. Nachdem alle Fläschchen verkauft sind, merkt er noch an, eine Frau verlöre für jedes Kind 5 Jahre ihres Lebens.
Ich kralle meine Nägel in die Sitzlehne vor mir und frage ich mich, wie viele Jahre ihres Lebens eine Frau durch eine Busfahrt auf der Ineramerikana verliert: Nehmen wir an, ebenfalls 5. Wenn man dann bedenkt, dass die Frauen hier durchschnittlich 7 Kinder haben, 20 mal im Leben Bus fahren und 60 Jahre alt werden, müssen die Guatemalteken ein stabiles Völkchen sein: Ohne Kinder und Busfahrten würden sie 195 Jahre alt. Das muss an den vielen Vitaminspritzen liegen.