Kennen Sie Fruchtfliegen? Diese kleinen,niedlichen Insekten, kaum größer als ein i-Punkt?
„Die sind doch ganz harmlos“, sagt mein Mann. „Die wollen nur spielen!“
Ich glaube eher, sie wollen spülen, denn sie sitzen alle an der Spüle. In Trauben. Und an den Trauben. Aber es hilft nichts, die Schüssel mit den Trauben in den Kühlschrank zu stellen, die Fruchtfliegen fliegen einfach auch in den Kühlschrank. Man würde ja denken, sie frieren dort. Aber das stimmt nicht. Sie halten sich nur länger.
Ach ja, angefangen hat alles mit einem Eimer voller Pfirsiche. „Sie sind noch nicht ganz reif“, sagte unsere nette Nachbarin. „Man muss ein paar Tage warten, dann kann man sie essen.“
Wir warteten ein paar Tage, und siehe da, die Pfirsiche wurden reif, alle auf einmal, und mit ihnen wurden die Fliegen reif, die offenbar ihre Kinderstube in dem Eimer gehabt hatten. Kein Mensch kann zehn Kilo Pfirsiche an einem Tag essen. Ich hätte die Pfirsiche einkochen sollen, ich hätte sie einfrieren sollen, ich hätte sie ein… fach wegwerfen sollen.
Am nächsten Tag war der Eimer leer und die Fruchtfliegen hingen mit dicken Bäuchen am Küchenfenster. Noch einen Tag später hatten sie alle Fruchtfliegenkinder bekommen, die wiederum eigene Kinder bekamen, und zwei Tage später konnte ich das Küchenfenster nicht mehr finden. Dort, wo es gewesen war, gab es nur noch einen schwarzen, leise atmenden Fleck. Nun hätte man den Staubsauger holen und die Fliegen einsaugen können. Oder ein Stück Klebeband aufhängen und hoffen, dass sie die Möglichkeit zum Massenselbstmord nutzen. Aber ich bin Pazifist. Also erfand ich eine Fruchtfliegenfalle. Ich bat unsere Nachbarin um noch einen Eimer Pfirsiche, die ich schlecht werden ließ. Dann versteckte ich mich unterm Teppich und wartete, bis alle Fruchtfliegen sich mampfend auf den Früchten versammelt hatten. Und dann schlich ich mich von hinten an und trug die Fruchtfliegen samt dem Eimer hinaus in den Garten. Hah!
Als ich vom Spazierengehen nach Hause kam, trugen die Fruchtfliegen den Eimer mit vereinten Kräften gerade wieder herein. Sie wollten lieber im Flur weiter im Pfirsichschlamm baden.
Übrigens nützt es nichts, sämtliche Nahrungsmittel wegzuschließen und einzuschweißen. Noch schlimmer als Fruchtfliegen sind nämlich hungrige Fruchtfliegen. Sie ziehen nicht etwa aus, weit gefehlt! Sie fangen an, zu randalieren. Sie kriechen in jede Ritze, lutschen demonstrativ und vorwurfsvoll an den Regalen und nagen an den Stuhlbeinen, ja, sie haben unsere Katze angefallen und hätten sie aufgegessen, wenn ich ihnen nicht schnell etwas Katzenfutter gegeben hätte. Fleischfressende Fliegen! Das kann man ja nicht mal aussprechen!
Wenn ich jetzt nach Hause kommen, umschwirren mich die Fliegen sofort und rufen nach „ESSÄÄHN!“ Wenn ich am Schreibtisch sitze, klettern sie auf die Tastatur und tippen unflätige DingHEY WAS SCHREIBST´N DA ÜBER UNS DU ALTES ARSCHLOCHe, bis ich sie wegjage. Wenn ich im Bett liege, höre ich sie im ganzen Haus summen, und wenn ich nachts zur Toilette schleiche, sitzen sie im Weinregal und betrinken sich. Ich habe es mit dem Fruchtfliegen-Rap versucht: Ich wünschte unsere Fruchtfliegen / würden mal Lust zur Flucht kriegen / am Ende wird wieder die Sucht siegen / sie werden zurück zur Frucht fliegen … Aber die Fliegen wollen unser Haus auch zu rhythmischen Klängen nicht verlassen.
Ich kann abends im Bett nicht einmal mehr lesen, da ich die Fruchtfliegen nicht von den Buchstaben unterscheiden kann, auf die sie sich setzen.
„Woraus besteht eigentlich Druckerschwärze?“, frage ich meinen Mann. „Ich habe da eine gemeine Idee …. wenn man die Fruchtfliegen presst …“
Mein Mann antwortet nicht. Ich drehe mich um. Neben mit unter der Decke liegt eine gigantische Fruchtfliege. O Gott, das Fliegentum ist ansteckend! Und Kafka hat sich in der Spezies geirrt. Ich gebe auf, strecke einen meiner sechs Arme aus und lösche das Licht.