Selbst ist der deutsche Handwerker

(Papa Heinz, Mama Gertrud, Mäuschen alias alias Lissy, ihr Freund Norbert, Studentenbude)

G (gerührt): Wie schön! Hier wird unser Mäuschen also jetzt wohnen … so ganz alleine und selbstständig … hachje, wie die Zeit vergeht! Eben lagst du noch im Kinderwagen, und jetzt …
M (genervt): Mama!
H: Ist ja ganz nett, aber … etwas kahl …
N: Das wird noch. (krempelt die Ärmel auf) Wenn wir alle zusammen anpacken, haben wir das in Null Komma Nichts. Lissy, du und ich, wir bauen da drüben das Bett auf, und vielleicht könnten Sie … hier … hierhin muss ja die Spüle …
H: Ach was. Das soll die Küche sein? Hier is ja gar nichts.
N: Noch nicht, Herr Hoppenstedt, noch nicht. Aber bald. Die Spüle ist ganz leicht zusammenzusetzen, wir haben gesehen, wie die das gemacht haben, das ging in Null Komm Nichts … die Anleitung muss da irgendwo drin sein …
H: Das hier? Das ist chinesisch.
N: Nein, Herr Hoppenstedt, Sie irren sich.
H: Ich? Irren?
N: Das ist KEIN chinesisch. Das sind Bilder. Damit es eben internatioNAL ist. Damit jeder es lesen kann, verstehen Sie? Wenn zum Beispiel ein Japaner oder ein, sagen wir, ein Mann …
M: oder eine Frau …
N: Eine Frau aus Kamerun hier eine Spüle aufbauen will, kann er …
M: … sie …
N: Kann sie das ganz einfach tun, weil die Bilder internatioNAL sind, verständlich AUCH für jemanden aus Kamerun oder Japan.
G: Warum sollte ein Japaner in der Wohnung MEINER Tochter eine Spüle aufbauen?
H: Und dann noch zusammen mit einer Frau aus Kamerun?
N: Wollen sie ja nicht, wollen sie ja nicht, aber WENN sie wollten, hätten sie das in Null Komma Nichts …
M: Norbert. Komm jetzt. Wir machen drüben das Bett. (zieht ihn weg)
(sie rupfen einen sehr großen Karton auf, während die Eltern sich unterhalten:)
H: AhA. Hier haben wir das Spülbecken. Zuerst müssen wir (konsultiert die Zeichnung, dreht sie mehrfach herum) … wo ist denn jetzt oben … zuerst müssen wir die Spanseitenbretter mit den Schrauben A und F an der Hinterplatte B befestigen … gib mir mal den Kreuzschlitzschraubenzieher …
G: Aber da ist ja gar kein Wasserhahn!
H: Schraube A …. F gibt es nicht … nehmen wir E, passt sicher auch … ist das die Hinterplatte?
G: Aber da ist ja gar kein Wasserhahn!
H: Hier soll man jetzt die oberen Flachzwingen C und D mit den Doppelkantbolzen 1 bis 7 verdübeln …
G: Diese?
H: Nein, das sind einfache Kantbolzen, die kann man nur für Flachschraubplatten verwenden …
G: Dann diese … die sehen doch aus wie was doppeltes …
H: Nein. Das sind zweifache Klappriegel, keine Doppelkantbolzen.
G: Woher willst du das wissen? Steht doch gar nichts drauf, ist doch bloß ein Bild … für die Japaner … könnten doch auch Doppelbolzkanten sein …
H: Sind es aber nicht. Ich kenn mich aus mit deutschen Bolzendübeln.
G: Ach was. Und wenn nun ein Japaner die Anleitung liest? Das soll doch international sein … woher weiß denn der Japaner, dass die Riegelklappen keine Bolzdoppler sind …
H: Das sieht man doch. Aaah, hier sind sie ja. Halt doch mal hier das Hebelgelenk … das ist Teil 3 A … das muss auf 5 B … und hier müssen die Leitersprossen L, M und N dran … Himmel, das passt ja gar nicht zusammen! Also, wenn ich jetzt hier die Schraubdübel 5 und 10 reinstecke, kann ich im nächsten Schritt drüben bei der Spanhinterfläche die Seitenplatten anbringen, dann kommen die Seitenränder des Aluminiumbeckens R in den Gleitschlitz H …
G (störrisch): Also ich als Japaner würde das nicht verstehen. Wusstest du, dass ein Japaner die Anleitung sowieso von oben nach unten lesen würde – also vielleicht zu ganz anderen Ergebnissen kommen als …
H: Mein GOTT, du bist aber kein Japaner! Nun hilf mir doch mal! Du musst jetzt das Stirnbrett mit der angedübelten Arbeitsflächenaufhängung halten, damit ich die Wirbelkanten der Matratzenauflage deckungsgleich aufeinanderbringen kann … nein, das geht so nicht … du hältst das verkehrt …
G: Und wo ist nun der Wasserhahn?

N: Klasse, so ein selbstzusammenbaubares Hochbett … in Null Komma Nichts hat man das fertig … Gib mir mal die Teile A, B und W1, die fügen sich fast von selbst zusammen zur … (guckt sich ein Teil an) … zum … Kompostabwurf …
M: (kichert)
N: Nein … fangen wir mit den Stützbalken an. Die werden im Hochstrebensystem seitlich verankert … da nehme ich jetzt einfach die Metallwinkel und schraube mit dem Sechskantschlüssel die Vierkantschrauben in die Löcher E bis G … Löcher E … bis …
M (kichert)
N: In Null Komma Nichts haben wir das, wirst schon sehen … hier ist das Schraubgewinde für das Fußbrett … nee … das passt nicht … ich bohre einfach ein neues Loch hier, dann passt es …
M (kichert)
N: Nun hilf doch mal, Mäuschen! Schließlich baue ich das Bett für Dich auf!
M (kichert)
N: Ich meine, für uns … der Holzbreitstempel passt hier auch gar nicht auf die Schutzbretterabwinkelung … ich bohre einfach noch zwei zusätzliche Löcher …
M: Was ist denn DAS?
N: Das ist ein Niedervolttransformator … braucht man den für ein Doppelbett? Oh …
M (kichert)
N: Und jetzt den Sprungfederhängeeinsatz … hier muss ja die Matratze hin … ich bohre einfach noch ein paar Löcher … gib mir mal das da … das haben wir in Null Komma Nichts … warum ist hier ein Kabel? Wo soll das denn nun hin? Das begreife ich nicht … muss vielleicht durch die Kopfholzleiste durch … da müsste ich dann noch ein etwas größeres Loch bohren … kannst du mir mal den Rundkantbohrer … Kantrundenbohrer …
M (kichert)
N: Wenn Du nicht sofort aufhörst, zu kichern, kannst Du dein blödes Hochbett alleine aufbauen
M (guckt plötzlich ernster)
N: Jetzt hilf mir mal, den Bohraufsatz 13 und die Gewindebrettwinkel zu suchen!
M: Ich habe hier ein Tütchen mit Hängemuffen … und glatte Halbholzdübel Größe 36 und 40 … oder brauchst du die Schutzscheibenschraubhalterung? Gott, wie niedlich, guck mal, diese ganzen kleinen Dingerchen … Hängemuffenschräubchen …
N: Ich brauche die Gewindebrettwinkel!
M: Nun sei doch nicht so wählerisch, die Hängemuffen sind auch ganz hübsch
N: Mäuschen! Es geht nicht darum, ob sie hübsch sind. Ich brauche die Brettgewinkel …
M: Gewindebrett …
N: Wickel!
M: Winkel.
N: Besserwisserin.
M: Großkotzverdübler.
N: Hängemuffenflittchen!
M: Schmutzbalkenbohrer!

G: Ich kann das so nicht länger halten!
H (ohne Eile): Du musst dich bequem hinstellen, ganz entspannt. Wir haben jetzt Schritt 1 bis 17 durchgeführt … wo hast du die Hängemuffen für Schritt 18 hingetan?
G: Nirgendwohin! Ich kann das nicht mehr …
H: Hör auf, so zu keuchen, ich muss mich konzentrieren. Wenn ich jetzt hier ins Gewinde des Wasserhahns Teil A schraube … aber das ist eine Glühbirne …
G: Ich kann …
H: Was macht denn der Gewindebrettwinkel hier?
G (bricht mit Teilen zusammen)

N: Gewindebrettwinkel? Das ist meiner!
M: Unserer!
H: Den hatte deine Mutter gerade in der Hand …
M: Hah! Ich konnte sie nämlich gar nicht finden!
G (aus Bretterstapel heraus, schwach): Hilfe!
N: Der Gewindebrettwinkel!
G (immer noch schwach): Hier!
H: Die Teile sind wohl durcheinander geraten. Haben sie dann vielleicht unsere Hängemuffen?
N: Ja, hier …
G: Ich bekomme keine Luft mehr …
M: Und wo ist der Bohraufsatz 13?
H: Den habe ich nicht.
N: UND das glaube ich ihnen nicht!
M: Papa, du gibst sofort MEINEM Freund unseren Bohraufsatz!
H: Ich habe hier nur Schraubverkleidung 14 …
G: Ich bekomme keine Luft …
N: Dann nehme ich die Schraubverkleidung … für das Hochbett … vielleicht möchten Sie das Kabel und die Reflektorschutzscheibe ….
H: Wozu das denn, bei einer Spüle? Wir brauchen unseren Wasserhahn! Rücken Sie auf der Stelle den Wasserhahn heraus!
N: Welchen Wasserhahn? Ich habe keinen Wasserhahn!
H: Lügner! Her damit!
M: Auf ihn! (stürzen sich ins Kampfgetümmel)
G: Ich bekomme keine … (bricht röchelnd ab)
(Kampf tobt kurz)

Nachbar (kommt rein): Entschuldigung. Sie waren doch gerade vor mir an der Kasse, beim Möbelkaufen. Ich habe eine erstklassige Designer-Stehlampe in Einzelteilen gekauft, aber ich kann nirgends das Dreifachrollkabel X 23 oder die Glühfadenhalterungsverschraubung finden … dafür habe ich einen Wasserhahn zu viel und einen Bohraufsatz mit Nummer 13 (sieht die Leichen am Boden) Oh. (steigt darüber, erfreut) Da ist ja die Reflektorschutzscheibe 25 R! Sie erlauben doch … (geht hinaus)