Der Duft der Stilblüten

Die einzigen Blumensträuße, die ich gerne bekomme, sind solche aus Stilblüten. Jeder kennt wohlgemeinte Ratschläge wie “Schreib doch mal Harry Potter!” Oder Fragen wie: “Liest du auch alle Bücher, die du schreibst?” Andere Dinge sind noch herz-und-leber-erfrischender. Manchmal baue ich in meine Lesungen einen Wecker ein, der irgendwann gegen Ende klingeln muss.
Bei einer öffentlichen Lesung mit sehr schüchternem Publikum frage ich einen winzigkleinen Jungen, wie sein Wecker sich anhören würde. Er hätte keinen, antwortet er, weil Papa ihn immer weckt. Papa sitzt hinten und hat die ungefähre Figur des Bullen von Tölz. “Was sagen Sie denn morgens so?”, frage ich. “AOOOOstehen!”, brummt Papa in tiefstem Contra-Bass. “Gut”, sage ich, “Sie sagen bitte nach einer halben Stunde aOOOOfstehen – genau in dem Tonfall!” Als es soweit ist, macht der winzigkleine Junge dem Bullen-Papa Zeichen. Bullen-Papa ist das Ganze offenbar peinlich. Schließlich flötet er im höchsten Soprano-Falsett: “Klüngelüngelüüng!”
Bei einer bestimmten Lesung verteile ich immer Zettel mit Sätzen. Ich gebe einem Mädchen, das “Haltet den Dieb!” rufen soll, das vereinbarte Zeichen und flüstere aufmunternd: “Und jetzt ganz laut!” Sie holt tief Luft… und schreit: “UUUND JEEETZ GAAANZ LAAAAAAAAAAUT!”
Schön ist auch das Signieren. “Für … Jakob. Schreibt man dich mit C oder mit K?” Jakob überlegt lange, lange, lange. Dann erhellt sich seine Miene: “Mit Jot!”
Ein Drittklässer fragt mich, an welchem Tag ich geboren bin. Ich antworte ehrlich; der Drittklässler legt die Stirn in kratertiefe Falten, rechnet konzentriert mehrere Minuten lang und hat eine Erleuchtung: “Dann bist du ja älter als ich!”
“Wieso”, frage ich bei einer Ammerlo-Lesung , “glaubt ihr, wird jemand ein blinder Passagier?” “Sicher ein Verbrecher!”, meint jemand. “Der was in die Luft sprengen will! Der hat bestimmt… ein Atom an Bord geschmuggelt!” Schmuggel einzelner Atome? Da sehe ich neue Märkte…
Luisa ist sowieso die Queen der Stilblüten. Nach dem großen (und geruchsintensiven) Fisch-Sterben erzählten wir ihr, uns wäre ein Buch über Bord gefallen. Ich werde nie ihr entsetztes Gesicht vergessen: “Dann stinkt es hier überall am Fluss nach Buch!”
Oder beim Kinderfest neulich ihre dringende Frage: “Hast du noch Plastikbücher?” Und, nach meinem verständnislosen Blick: “Ach nein: BECHER …”
Meine liebste Luisa-Stilblüte ist diese: Damals mussten wir beide nach einem Schul-Theater-Auftritt ein Interview geben. Währenddessen klingelte Luisas Handy. Und sie sprach, den Kopf noch voll vom Auftritt, die überraschend lässigen Worte: “Ich komme gleich – ich bin eben auf ein Interview getreten!”
Zurück zu den Lesungen. “Cooles Buch”, bemerkt ein Kind im Hinausgehen. “Muss ich auch mal schreiben.” An anderer Stelle geht es um Krankenhäuser. “Ich war schon mal zehn Wochen im Krankenhaus!”, ruft ein Junge. “Als Baby, im Brutkasten. Nämlich: Ich war ein… ein… ein Früh-ling!” Hoffentlich wird die triste Neonatologie bald offiziell in Frühlings-Station umbenannt.
Ach, liebe Leser! Wann können wir so gute Pointen erfinden wie die Kinder? Ich bemühe mich ja! Ebenfalls in einem Ammerlo-Band heißt es, empört hinausgeschrien: “Du kannst doch hier nicht Fischbrötchen verkaufen, wenn in Ammerlo Verbrecher frei herumlaufen!” Und was rufe ich, im Eifer des Gefechts? “Du kannst doch hier nicht … Verbrecher verkaufen, wenn in Ammerlo Fischbrötchen frei herumlaufen!”