Ich beantrage ein Telefon

Kürzlich sind wir umgezogen. Wir haben einen neuen Kühlschrank, einen neuen Gasherd, eine neue Dusche… „Wir haben gar kein Telefon!“, sagt Philipp. Da hat er recht. „Ich werde eines beantragen“, verkünde ich zuversichtlich. Das Telefongeschäft heißt Ti-Shop und ist sehr rosa. Die Schlange reicht bis auf der Straße. Vor mir packt eine Familie ihr Picknick aus. Hinter mir schluckt eine alte Dame ihre Mittags-Pillen, rosa, passend zum Ti-Shop. Als ich an der Reihe bin, sehe ich mich einer blondierten Schulsekretärin gegenüber. Wenigstens hat sie keine rosa Haare.

„Ich möchte einen Anschluss beantragen“, sage ich. „In Bauer-Wehrland, Kreis Zemitz, auf die Namen Michaelis und Klein. Lindenallee 4.““Hier sind Sie ja“, sagt die Sekretärin und findet uns im Computer. „Sie haben doch schon ein Telefon!“ „Ja“, sage ich. „Das war in der alten Wohnung.“ „Also Wehrland“, sagt die Sekretärin. „Kreis Zemitz. Da gibt es keine Lindenallee.“ „Früher hieß es Dorfstraße 5“, sage ich. „Wir hatten kürzlich überall eine Straßen-Umbenennung.“ „Hier!“, sagt die Sekretärin. „In der Dorfstraße 5 in Zemitz wohnt Familie Mauschel.“ „Wir brauchen ja auch die Dorfstraße in Bauer-Wehrland, Kreis Zemitz“, sage ich.

„Wie lautet denn die Vorwahl?“, fragt die Sekretärin. „Ich dachte, das sagen Sie mir!“, sage ich. Sie schüttelt müde den Kopf. „Geht nicht. Wir haben keine Liste dafür.“ „Vielleicht im Telefonbuch?“, versuche ich. „Geht nicht. Wir haben kein Telefonbuch.“ „Gucken Sie doch im internet nach“, sage ich. „Google, Vorwahlen…“ „Das geht nicht“, sagt sie. „Wir haben kein Internet hier.“ „Wir könnten die Auskunft anrufen“, schlage ich vor. Ich warte darauf, dass sie sagt: „Geht nicht. Wir haben kein Telefon.“ Aber sie sagt: „Geht nicht. Dafür habe ich keine Zeit.“ Mit einem aufreizenden Lächeln schnappe ich mir ihr Telefon und wähle die Auskunft der Telekom. Die Auskunft freut sich, mir helfen zu dürfen.

„Ich bin hier im Telekom-Laden“, sage ich. „Verzeihung, im Ti-Shop. Und ich brauche die Vorwahl von Bauer-Wehrland.“ „Bauer-Wehrland gibt es nicht“, sagt die Auskunft. „Das glaube ich nicht!“, rufe ich. „Ich wohne doch dort!“ „Tut mir leid“, sagt die Auskunft. Mir auch.

„Stellen sie mich zum Bürgermeister von Zemitz durch“, bitte ich verzweifelt. „Ordnungsamt Zemitz“, meldet sich die Stimme eines Anrufbeantworters. „Leider ist unser Telefon vorübergehend gestört und kann nicht repariert werden, da die Telekom streikt. Zur Zeit funktioniert nur der Anrufbeantworter. Bitte wenden sie sich an das Ordnungsamt in Wolgast…“

Ich wende mich an das Amt in Wolgast. „Peenestrom-GmbH“, meldet sich das Amt. „Ich möchte… ein Telefon…“, stottere ich. „Hier ist die Abteilung für Abwasser und Frischwasser“, sagt das Amt. „Am besten rufen Sie die Auskunft an…“ Die Auskunft freut sich, mir helfen zu dürfen. „Ich möchte die Vorwahl..“, röchle ich, „von Bauer…“ -Wehrland kriege ich nicht mehr heraus. „Ah, Bauer“, sagt die Auskunft. „Ja, das ist die gleiche wie die von Zemitz.“ „Und die ist?“, schreie ich schrill. „Die gleiche wie Wolgast“, sagt die Auskunft fröhlich. „Und die ist…?“ Das wissen wir nicht. Dafür haben wir keine Liste“, sagt die Auskunft. „Fragen sie doch in ihrem freundlichen Ti-Shop nach, dort wird man sie beraten.“

Ich lege auf. Ich starre das Telefon an. Der Kunde neben mir sagt gerade: „Versuchen sie mal Gartenstraße 13. Früher hieß es Gartenstraße.. Wie, sie haben meinen Geheim-Code gesperrt? Ehe sie ihn mir überhaupt zugeschickt haben? Und wie kann ich ihn jetzt entsperren?“ „Das ist einfach“, antwortete die Schulsekretärin. „Sie geben nur den Geheim-Code ins Telefon ein…“

Ich klopfe dem Mann auf die Schulter, voll ehrlichem Mitgefühl. Dann schleiche ich hinaus, gebeugt, gebeutelt vom Leben. Draußen wartet noch immer die alte Dame. Ich nehme ihr die Pillendose aus der Hand und schlucke alle rosa Pillen auf einmal. Dann gehe ich in den nächsten Buchladen, der vermutlich ein book-shop ist, und kaufe mir ein Handbuch für Rauch-Zeichen. Der Verlag wird Mühe haben, sie zu auswendig zu lernen.

(Frau Hammerschmidt sagt, der Text ist zu traurig. Ich darf ihn nicht in den Blog stellen, weil dann alle Leute verzweifeln, die ihn lesen. Offenbar hatte auch Frau Hammerschmidt schon Probleme mit der Telecom. Für die Verzweifler füge ich hiermit an: Ich HABE jetzt ein Telefon. Es gibt noch 2 Folgen dieser Geschichte. Theoretisch ist es also möglich, ein Telefon zu beantragen. Über die Praxis wird in Folge 2 berichtet.)