19 Prozent Tesafilm

Kennen Sie das? Das ganze Jahr über sammelt man wie eine fleißige Ameise alle Rechnungen, und wenn es Zeit für die Steuererklärung wird, sind alle Rechnungen wie fleißige Ameisen aus ihren Schubladen geklettert und haben sich irgendwo versteckt. Dieses Jahr dachte ich, ich hätte alle wiedergefunden. Aber unsere Steuerberaterin rechnet eine Nachzahlung aus, die 10.000 Euro höher ist als erwartet. Und dann wären da noch die 19 Prozent auf Lesungen … Ab heute gibt es Knäckebrot mit Marmelade. “Auf ihren Kontoaufpfügen find lauter Abbuchungen, pfu denen die Refnungen fehlen”, sagt sie. Wieso spricht sie so komisch? “Bahmfahrten für fwei Taufend Euro, Hotel- und Telefonrefnungen … auferdem brauf if die Lifte der beruflifen Autofahrten.”
“Kann ich die Fahrten in die Stadt absetzen”, frage ich, “zu der Schule, wo ich ehrenamtlich arbeite?” Die Steuerfrau lacht. “Wer ehrenamtlif arbeitet, ift felber Pfuld”, sagt sie. Aber wenn ich in der Stadt Heftklammern oder Tesafilm kaufen würde, könnte ich 19 Prozent der Fahrt absetzen. Genau wie das Essen auf den Lesereisen. Muss ich dann Heftklammern und Tesafilm essen? Am nächsten Tag frühstücken wir Knäckebrot mit Marmelade und fahren nach Warnemünde, Dickschiff-Segeln; das haben wir zur Hochzeit geschenkt bekommen. “Wieso kommen Sie so spät?”, fragt der Kapitän. “Oh”, sagen wir, “wir mussten noch Tesafilm kaufen, damit wir die Fahrt absetzen können … immerhin sind es zwei Stunden …”
Wieder zu Hause, kaue ich eine Scheibe Knäckebrot und beginne, die fehlenden Belege zu suchen. Ich finde eine Fahrkarte für 2 Euro 50. Schließlich suche ich die Hotels heraus, deren Rechnungen fehlen, und bitte um Kopien. Ich finde alle bis auf das Hotel Börg. Danach rufe ich die Telekom an. Geht es um den 3-Sekunden-Tarif?, flötet die automatische Frau in der Leitung. Oder um die DSL-XXL-YY-Flatrate? Rech-nung, sage ich. Leider habe ich sie nicht verstanden, flötet die Frau. Ärgerlich hole ich ein Knäckebrot und kaue der automatischen Frau ins Ohr. Ach so! jubliert sie. Sie leben von Knäckebrot! Dann geht es um die Steuererklärung. Wir schicken ihnen die verlorenen Rechnungen gern zu, das macht 50 Euro pro Stück plus 19 Prozent … Resigniert schmiere ich Marmelade auf das Telefon und esse es zum Abendbrot. Ich kann einfach kein Knäckebrot mehr sehen. “Ich habe das Hotel Bjorg im Internet gefunden!”, ruft mein Mann. “Es ist in Reykjavic!” Interessant. “Schreib auf die Liste”, sage ich, “ich wäre mit dem Auto hingefahren und hätte im Papiergeschäft isländisches Moosgummi gekauft, auf das ich 19 Prozent deutsche Mehrwertsteuer bezahlt habe.”
Als ich der Steuerberaterin die Belege bringe, kommt sie mir dicker vor als sonst. “Fehlten die Belege vielleicht gar nicht?”, frage ich misstrauisch. “Hat ihnen das Finanzamt Geld gegeben, damit sie sie alle … aufessen?” Sie sieht mich schuldbewusst an. “Nift alle”, sagt sie und schluckt eilig. “Nur 19 Prozent.”