Das Wort mit P oder: Backofenspray hilft gegen (fast) alles

Auf dem Land zu leben ist etwas schönes. Ich trete hinaus in unseren Obstgarten und atme tief ein. Aaah – eine wahre Pracht! Die roten Äpfel, die hellgrünen Birnen, die violetten Holunderbeeren – und all die schönen blauen Pflaumen! Ich bekomme Besuch von meiner kampferfahrenen Mutter, die uns zum Einzug einen Strandkorb schenkt. Wir stellen ihn an den Rand des Obstgartens, um die schönen Pflaumenbäume besser betrachten zu können. Als ich mich nach einer Pflaume bücke, beißt mich etwas in die Hand. „Ach!“, rufe ich. „Die Brennesseln sind auch gerade reif!““Brennesseln sind gesund“, sagen unsere ökologischen Freunde am Telefon, „und gut gegen Rheuma.“ „In diesem Fall werde ich sicher niemals Reuma bekommen“, erkläre ich, „vor allem nicht in den Fingerspitzen.““Man kann auch Suppe daraus kochen“, sagen unsere ökologischen Freunde. „Aus meinen Fingerspitzen?“, frage ich. In jedem Fall fühlen sie sich so an, als hätte jemand bereits Suppe daraus gekocht. Ich hole voller Elan und Brutalität unser motorisiertes Schaf und sense mich quer durch den Garten. „Das kannst du doch nicht machen“, sagen unsere ökologischen Freunde. Die haben keine Ahnung; die wohnen in der Stadt. Ich hingegen, ich wohne auf dem Land, und das ist etwas schönes, und ich ernte also den ersten Pflaumenbaum ab. Dazu klettere ich hinauf und schüttle. Ein Regen aus harten, unreifen Früchten ergießt sich auf meinem Kopf. Ich verheddere mich im unübersichtlichen Geäst und zerreiße mein Hemd, als ich versuche, den Erdboden wieder zu erreichen. Schließlich schleppe ich mehrere Zentner Pflaumen und Holunderbeeren ins Haus. „Das wird alles Marmelade!“, sagt meine kampferfahrene Mutter. Im Kamin lodert ein lustiges Herbstfeuer. Leider sieht man es nicht, weil die Scheibe so dreckig ist.“Backofenspray“, sagt meine kampferfahrene Mutter. „Backofenspray hilft gegen fast alles.“
Und während ich Pflaumen entsteine, sprüht sie die Kaminscheibe mit Backofenspray ein. Was würden unsere ökologischen Freunde dazu sagen? Ich presse die Holunderbeeren durch ein Küchenhandtuch. Meine Mutter sprüht Backofenspray nach. Ich wundere mich, dass das Handtuch jetzt so hübsch lila ist. Meine Mutter sprüht mehr Backofenspray. Ich stelle die zermusten Pflaumen auf den Herd. Meine Mutter versprüht Spray. Ich rühre Gelierzucker in die Pflaumen und auch in den Holundersaft. Leider geliert der Holundersaft gar nicht. Ich kippe mehr Zucker hinein. Ich klebe von Kopf bis Fuß. Doch der Holundersaft weigert sich hartnäckig, zu gelieren. Aber die Scheibe des Kamins ist jetzt ganz sauber. Wir sehen uns an. „Backofenspray“, wiederholt meine Mutter leise, „hilft gegen fast alles.“ Wir schäumen den Hollundersaft in stillem Einverständnis mit Backofenspray auf, und siehe da, er geliert.

Am nächsten Tag fährt meine Mutter ab. Ich trete hinaus in unseren Obstgarten und seufze. Vom Strandkorb aus kann man sie alle noch immer sehen – die Äpfel, die Birnen, die Holunderbeeren – und all die schönen Pflaumen. Es sind gar nicht weniger geworden. Nur die Brennesseln sind über Nacht nachgewachsen. Ich rufe in der nächsten Kneipe an. „Brauchen sie Pflaumen?“, frage ich. „Sie können kommen und sie selbst pflücken.“ „Danke nein“, sagt der Kneipenwirt, „wir haben eben eine Schubkarre voll geschenkt bekommen.“ Ich rufe unsere ökologischen Freunde an. Die ernten ein bisschen Holunder. Pflaumen wollen sie nicht haben. „Wenn man aus denen Marmelade kocht“, sagen sie, „sind sowieso alle Vitamine weg.“ Den Holundersaft pressen sie kalt. „Und wie geliert er?“, frage ich. Unsere ökologischen Freunde machen ein betretenes Gesicht. Ich flüstere verschwörerisch: „Backofenspray?“

Und dabei fällt mir ein: Es gibt doch auch Backpflaumen? Wäre das nicht eine Methode, die Pflaumen loszuwerden? Das Internet bejaht. Backpflaumen sind ganz einfach herzustellen. Man muss sie nur entsteinen und in den Backofen legen. Dort gart man sie zwei ein halb Tage lang bei mittlerer Hitze. Ich habe eine Vision von der nächsten Stromrechnung und wische mir ein Tränlein aus dem Augenwinkel. Dann koche ich weitere Marmelade aus den Pflaumen. Ich friere Pflaumenmus ein. Ich backe Pflaumenkuchen. Ich mache Pflaumenpfannkuchen. Ich setze Pflaumenschnaps an. Ich esse Pflaumen zum Frühstück, zum Mittagessen und zum Abendbrot. Ich träume von Pflaumen. Ich verwende sogar Pflaumen in meinen weblogs. Ab und zu trete ich in den Garten hinaus. Die Pflaumen hängen blau im malerischen Grün der Blätter, und sie weichen nicht. Ich bin mir sicher: Sisyphos hat überhaupt keinen Stein den Berg hinauf gerollt, sondern eine Pflaume. „Der Strandkorb steht verkehrt“, sagt unser Nachbar. „Ich habe es ausprobiert. Man sieht gar nichts, wenn man drin sitzt. Nur Pflaumenbäume.“ Ich hole den Backofenspray. Dann schäume ich alle Bäume ein. Die Pflaumen werden sich grau verfärben, schrumpfen und ins Gras fallen, und ich – ich werde triumphieren. Nein; die Pflaumen bleiben ungerührt hängen. Unser Nachbar lacht mich aus. Ich richte den Backofenspray auf ihn und drücke ab. Er verfärbt sich grau, schrumpft und fällt ins Gras. Krampfhaft die Spraydose umklammernd, sinke ich in den Strandkorb.
Wenn Sie mir auf meiner nächsten Lesung begegnen, sagen Sie nicht das Wort mit P. Auch nicht das andere, das mit Zw. Ich warne Sie. Ich gehe nicht mehr ohne Backofenspray aus dem Haus.