Weihnachten ist wunderbar

Früher drängten sich in den Städten vor Weihnachten die Leute, und die Autos verschmolzen auf den Straßen zu großen Blechklumpen. Heute sind die Städte leer und die Straßen verlassen. Weihnachten ist wieder wunderbar. Und all das ist der Verdienst von ebay.
“Ich werde jetzt all deine Geschenke schnell und einfach ersteigern”, erkläre ich meinem Mann. Er bastelt gerade ein Konstrukt aus einem Eierwender, einem Schürhaken und sehr viel Draht. Wir haben Freunde zur Feuerzangenbowle eingeladen und besitzen keinen Zuckerhut-Halter. Ebay bietet mir sofort einen an. Außerdem hetze ich die Suchmaschinen auf eine antike Fahrradklingel und eine Beethoven-Sammlung.
“Jetzt muss ich ins Netz”, sagt mein Mann. Der Zuckerhut schlägt auf seinem Konstrukt Flammen. Die Gäste fotographieren, wie ein Loch in unser Gewürzregal brennt.
“Macht nichts!”, sage ich, “ich ersteigere sofort ein neues!”
Ich habe 57 Nachrichten von ebay. Ebay grüßt mich, ebay erinnert mich an 23 bald endende Artikel; ebay fragt, ob ich nicht einen elektrischen Nasenmixer oder einen magnetischen Rasenfriseur brauche. Ansonsten bin ich überall überboten worden. Was wollen die Leute mit meiner Fahrradklingel? Wütend erhöhe ich den Preis. “Kann ich jetzt an den PC?”, fragt mein Mann. Die Gäste haben die Bowle ausgetrunken und sind gegangen.
Noch eine Woche bis Weihnachten. Am Montag habe ich 157 neue Nachrichten von ebay. Am Dienstag ist Beethoven schon so wertvoll wie Mozart. Am Mittwoch drängt ebay mir den neuen Harry Potter auf. Leider weiß ich nicht, wer das ist. Am Donnerstag kann ich vom Preis für die Fahrradklingel ein Fahrrad und den Fahrradschuppen kaufen. Am Freitag schlägt mir ebay vor, stattdessen rosa Lammfell-Stiefel Größe 36 zu verschenken. Ich hege Zweifel. Mein Mann mag Lammfell nicht. Am Samstag sagt er: “Wir haben den Weihnachtsbaum vergessen!”
“Macht nichts”, antworte ich matt. “Wir ersteigern ihn bei ebay.” Aber man schnappt uns den Baum in letzter Minute weg. Am Sonntag fällt mir ein, dass wir zu Weihnachten Sushi machen wollten. Wir haben keine einzige Zutat im Haus.
“Macht nichts”, sagt mein Mann, “ich ersteigere rasch etwas rohen Fisch.”
Leider ist auch da ein anderer Angler schneller. Am Weihnachtsmorgen drucke ich 749 ebay-Nachrichten und 385 Suchergebnisse aus. “Dieser Papierstapel”, sage ich feierlich. “ist dein Geschenk. Es war eine Menge Arbeit.”
“Danke!”, sagt mein Mann gerührt. “Dieser Stapel ist für dich! Bei dem grünen Pullover und der extra-hellen Schreibtischlampe wurde ich kurz vor Ende überboten …”
Draußen klingelt jemand mit einer frisch ersteigerten Fahrradklingel. Eine Frau im neuen grünen Pullover springt zur Seite und landet der Länge nach im Dreck. Unsere Nachbarn besitzen eine neue, sehr helle Schreibtischlampe, die ihr Schlafzimmer in ein Kino verwandelt. Beim anderen Nachbarn hängt ein gewisser Beethoven in einer Endlosschleife.
“Gut”, sage ich, “dass wir all diese Dinge nicht gekauft haben!” Dann falten wir aus den Ausdrucken einen Baum und braten den Rest in milder Currysauce. Weihnachten ist wunderbar.